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ChatGPT und die Geheimnisse der weiblichen Anatomie

Für die Prävention von sexualisierter Gewalt und Übergriffen einerseits und für konsensuelle sexuelle Begegnungen andererseits ist es unerlässlich, den eigenen Körper zu kennen und Körperteile benennen zu können. Das ist bereits in den Lernzielen der 1. und 2. Klassen verankert. Auch für die Sekundarstufe stehen Themenbereiche wie „Bau und Funktion der Geschlechtsorgane“ in den Richtlinien für die Sexualerziehung. Ein fundiertes Verständnis von Anatomie zu vermitteln, stellt also einen wesentlichen Aspekt des Sexualkundeunterrichts dar.

Ein Beitrag von Carolin Strehmel und Vanessa Meyer

Biologielehrkräfte stehen jedoch immer wieder vor der Herausforderung, verlässliches und anatomisch korrektes Material zu finden, vor allem wenn es um die Darstellung und Bezeichnungen der weiblichen Geschlechtsorgane geht.

Fehlerhafte Grafiken und unklare Benennungen

Trotz Fortschritten in der wissenschaftlichen Forschung und des Engagements einiger Lehrkräfte stößt man immer wieder auf das vermeintliche Rätsel „Klitoris“: In Lehrmaterialien ist sie unvollständig oder gar fehlerhaft dargestellt. Auch bei Bezeichnungen sieht es nicht besser aus: Vulva und Vagina werden verwechselt, häufig findet man kirchlich geprägte Begriffe wie „Schamlippen“. Nicht zuletzt bleiben auch der Uterus und seine Nähe zu den Eileitern ein Mysterium. Wie soll man da den Überblick behalten? Und wie kann es sein, dass subjektive Einschätzungen des „Wissens“ den Tatsachen den Rang ablaufen? Historisch gesehen ist das nichts Neues, wurde die Klitoris doch häufiger vernachlässigt oder verschwiegen, was zu ebendiesen Missverständnissen über ihre Anatomie und Funktion führte. Es ist ein langer Weg, das über Jahrhunderte vermittelte Wissen und vermeintlich Gewusste wieder zu verlernen. Als Lehrperson dabei sicherzustellen, dass es sich bei kursierenden Arbeitsblättern, Internetgrafiken und Biologiebüchern um zeitgemäßes und richtiges Material handelt, ist mindestens genauso mühsam.

ChatGPT und die Klitoris – ein Versuch

In Zeiten künstlicher Intelligenz drängt sich die Frage auf: Bekommt man von ChatGPT et al. brauchbare Antworten, wenn man nach anatomisch korrekten Darstellungen weiblicher Geschlechtsorgane fragt? Wir haben einen Versuch gestartet. Wie immer gilt es, die eigene Frage so präzise wie möglich zu formulieren und im Dialog nicht die Geduld zu verlieren. Auf die erste Bitte, zuverlässige Quellen für Unterrichtsmaterial zu nennen, in denen sich anatomisch korrekte Darstellungen der Klitoris finden lassen, folgt eine oberflächliche Auflistung wenig konkreter Hinweise auf „Lehrbücher für die Anatomie oder Biologie, die von renommierten Verlagen […] veröffentlicht werden, Onlineressourcen von medizinischen Schulen oder Bildungseinrichtungen, die speziell für den Unterricht konzipiert sind, und Anatomieatlanten“. Ergänzt wird diese Auflistung durch die freundliche Hilfestellung: „Indem Sie diese Quellen überprüfen, können Sie Unterrichtsmaterialien finden, die anatomisch korrekte Darstellungen der Klitoris enthalten und sich für den Einsatz im Schulunterricht eignen.“

Knowboday App Bodyscreen
Moderne Sexualkunde mit einer professionellen App | © KNOWBODY

Prompt: „Die Vorschläge sind leider nicht ausreichend“

ChatGPT ist jedoch offen für kritisches Feedback. Auf die Erwiderung, die Vorschläge seien nicht konkret genug, antwortet die KI: „Sie haben recht, und ich danke Ihnen für die Klarstellung. Tatsächlich ist die Klitoris in der wissenschaftlichen Literatur und in Lehrmaterialien oft falsch oder unzureichend dargestellt worden. Die Geschichte der wissenschaftlichen Untersuchung der Klitoris ist von Missverständnissen, Vernachlässigung und falschen Darstellungen geprägt. […] Biologielehrkräfte sollten sich bewusst sein, dass die Darstellung der Klitoris in Lehrmaterialien oft unvollständig oder ungenau ist, und alternative Ansätze in Betracht ziehen, um sicherzustellen, dass Lernende genaue Informationen erhalten. Durch die Förderung kritischen Denkens, die Nutzung multimedialer Quellen, die Einholung von Expertenmeinungen und die Anregung zur selbstständigen Recherche können Lehrkräfte dazu beitragen, das Verständnis der Lernenden für die Anatomie der Klitoris zu vertiefen und zu verbessern.“

Prompt: „Berücksichtigen Sie, dass die Klitoris eine komplexe Struktur ist“

In einem zweiten Anlauf soll ChatGPT beantworten, welche Fakten man über die weiblichen Geschlechtsorgane und die Klitoris kennen müsse, um Arbeitsmaterial für die Schule auf seine Richtigkeit überprüfen zu können. Hier bekommt man eine ausführlichere Auflistung.

  • „Die Anatomie der weiblichen Geschlechtsorgane: Verstehen Sie die grundlegende Anatomie der weiblichen Geschlechtsorgane, einschließlich der äußeren Genitalien (Vulva) und der inneren Strukturen wie Vagina, Gebärmutter, Eierstöcke und Eileiter.
  • Struktur der Klitoris: Kennen Sie die Struktur der Klitoris, einschließlich ihrer äußeren sichtbaren Teile (Glans) und ihrer internen Strukturen, wie beispielsweise den Klitorisschenkel, Klitorisvorhof und Klitorisschenkel.
  • […] Klitorale Anatomie: Berücksichtigen Sie, dass die Klitoris eine komplexe Struktur ist, die größer ist als nur die sichtbare Glans. Sie erstreckt sich intern und kann bis zu 12 Zentimeter lang sein, einschließlich des Klitorisschafts und anderer Gewebestrukturen.“
Die App für sexuelle Bildung im Schulunterricht wird ab der 6. Klasse empfohlen | © KNOWBODY

Ohne Vorwissen keine Hilfestellung

ChatGPT ist also durchaus in der Lage, die Anatomie der Klitoris zu beschreiben, schafft es dann aber nicht, entsprechende Materialquellen zu nennen, bei denen ebendiese Beschreibungen zutreffen. Interessant ist außerdem, dass die KI dazu ermutigt, das kritische Hinterfragen von Quellen an dieser Stelle einfach in den Unterricht einzubauen, hier jedoch auch keine Kriterien mitliefert, an denen man sich zur Bewertung von Materialien orientieren könnte. Nebenbei gibt sie an einer Stelle den Ratschlag, doch „multimediale Quellen“ zu nutzen, ein Hinweis darauf, welche das sein könnten, bleibt jedoch aus.

Verlässliche Vorlagen für die Genitalentwicklung

Im Herbst 2021 macht sich das Team um KNOWBODY auf, um eine App für sexuelle Bildung zu entwickeln. Die App soll ein 3-D-Modell der Genitalentwicklung enthalten. Schnell macht sich KNOWBODY an die Konzeption – und das ohne die Hilfe von ChatGPT. Angesichts der wenigen Vorlagen, die es für dreidimensionale Darstellungen gibt, folgt jedoch sehr bald die Ernüchterung. Bei der Recherche stößt man auf genau eine gute, jedoch zweidimensionale Vorlage von Ursula Rosen. Auf verschiedenen Plattformen wird weiter nach 3-D-Vorlagen gesucht, doch es werden kaum welche gefunden. Die existierenden sind kantig, ungenau, schemenhaft. Nicht eine einzige weist eine indifferente Ausgangslage auf. Oft fehlt es an Details, und nicht nur die Klitoris sucht man vergeblich, sondern auch die Bartholin- und die Paraurethraldrüse.

3-D-Modell von Menschen entwickelt

Über ein halbes Jahr lang sind vier Software- Entwickler:innen, eine Biologin und ein Mediziner im ständigen Austausch. Es ist für sie alle der erste Versuch, ein 3-D-Modell der Genitalentwicklung anzufertigen. Da niemand genau weiß, wie das fertige Modell wirklich auszusehen hat, braucht es viele, viele Korrekturschleifen, bis ein erstes Modell entsteht. Zum Schluss ist auch ein Professor eines Instituts für Anatomie involviert. An einem Tag im April 2022 ist das Modell von ihm lektoriert und freigegeben. Mit seiner letzten E-Mail fragt er, ob er es morgen bei seiner Sprechstunde verwenden dürfe. Denn Überraschung: Auch in medizinischen Lehrbüchern sieht es noch nicht besser aus …

Das 3-D-Modell der Genitalentwicklung wurde in Zusammenarbeit mit vielen Expert:innen entwickelt | © KNOWBODY

Weitere Informationen

Hier gelangen Sie zur Website sowie zur kostenfreien Testversion der App (verfügbar für iOS und Android). Das Team freut sich immer über Feedback.

Carolin Strehmel und Vanessa Meyer

Carolin Strehmel und Vanessa Meyer sind die Gründerinnen von KNOWBODY und haben gemeinsam mit dem Programmierer Fabian Diga und einem interdisziplinären Team aus Pädagog:innen, Designer:innen, Medizinstudierenden, Biolog:innen, Psycholog:innen und Kommunikationswissenschtftler:innen eine App für sexuelle Bildung entwickelt.

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